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Maj Sjöwall und Per Wahlöö und ihre Männer von der RikspolisEine kulinarische Betrachtung von Frank GöhreKurz nach Erscheinen des letzten Bandes im April
1977 tönten die bundesdeutschen Kulturschaffenden, Hauptabteilung
Wort, unisono: Grandios, genial - ein Meisterwerk, vergleichbar nur
mit Balzacs "Comedie Humaine"! Was derart euphorisch bejubelt
wurde, waren zehn simple Taschenbücher in der Preisklasse von drei,
vier und fünf Mark achtzig, die Kriminalromane des schwedischen
Autorenteams Maj Sjöwall und Per Wahlöö, die ab 1968
in schöner Regelmäßigkeit auf den deutschen Markt gekommen
waren, zum Teil allerdings erheblich gekürzt. Inzwischen liegt
die Polizisten-Saga erstmals vollständig übersetzt vor, als
Kassette zum Mitnahmepreis. Es ist ein handliches Teil, das im Ikea-Regal
gut zur Geltung kommt. 2062 Seiten stark präsentiert sich der "Roman
über ein Verbrechen", und es ist schon aufschlußreich,
in den Neunzigern noch einmal darin zu blättern. Wer allerdings
verfolgt hat, wie zum Beispiel Joseph Wambaugh seine L.-A.-Cops agieren
läßt oder was Elmore Leonhard nach wie vor an gut verrückten
Geschichten zu erzählen hat, wird beim "schwedischen Modell"
schnell abwinken.
Oder möchten Sie Ihren Tag mit diesen Menschen beginnen? "Die Uhr zeigte Viertel nach fünf; es regnete. Martin Beck putzte sich lange und sorgfältig die Zähne, um den schalen Geschmack im Mund loszuwerden. Und es schien so, als ob es ihm glücken würde. Dann knöpfte er den Kragen zu und knotete den Schlips. Lustlos blickte er auf sein Gesicht im Spiegel, zuckte die Schultern und ging hinaus auf die Diele. Ging weiter durch das Wohnzimmer, sah sehnsüchtig auf das halbfertige Modell des Schulschiffs Danmark, an dem er am Abend vorher viel zu lange gebastelt hatte, und trat in die Küche. Die ganze Zeit bewegte er sich vorsichtig und lautlos, teils aus alter Gewohnheit, teils um die Kinder nicht zu wecken. Er setzte sich an den Küchentisch. "Ist die Zeitung noch nicht da?" fragte er. "Die kommt erst gegen sechs", erwiderte seine Frau. Es war schon hell draußen, aber der Himmel war bezogen. In der Küche herrschte ein graues Halbdunkel, weil seine Frau das Licht nicht angedreht hatte. Sie nannte das sparen. Der Mann öffnete den Mund, aber er schloß ihn gleich wieder, ohne etwas zu sagen. Es würde doch wieder zu scharfen Worten kommen, und dafür war jetzt der falsche Moment. Statt dessen trommelte er vorsichtig mit den Fingern auf die Resopalplatte und blickte auf die leere Tasse mit dem blauen Rosenmuster. Sie war am Rand etwas abgesprungen und hatte einen braunen Riß von der Kante herunter. Die Tasse hatte ihre ganze Ehe miterlebt; mehr als zehn Jahre. Seine Frau schlug selten etwas entzwei, jedenfalls nicht so, daß es Scherben gab. Es war komisch, daß die Kinder das von ihr geerbt zu haben schienen. Konnten solche Eigenschaften vererbt werden? Er wußte es nicht. Sie nahm den Kaffeekessel vom Herd und goß ein. Er hörte mit dem Trommeln auf. "Willst du nicht ein Smörgas haben?" fragte sie. Er trank vorsichtig und in kleinen Schlucken und hockte ziemlich krumm an der Tischkante. "Du solltest wirklich etwas essen", begann sie wieder. "Du weißt, daß ich morgens nichts essen kann". "Es wäre aber besser für dich, bei deinem empfindlichen Magen."
"Ich kann dir etwas Brot rösten", schlug sie vor. Fünf Minuten später stellte er die Tasse lautlos auf die Untertasse und hob den Blick zu seiner Frau. Sie hatte einen roten, flauschigen Morgenmantel über dem Nylonnachthemd an und stützte die Ellbogen auf den Tisch, das Kinn in der Hand. Sie war blond, mit hellem Teint und runden, etwas vorstehenden Augen. Die Augenbrauen pflegte sie färben zu lassen, doch während des Sommers waren sie ausgebleicht und nun fast ebenso hell wie das Haar. Sie war ein paar Jahre älter als er, und obwohl sie in den letzten Jahren etwas zugenommen hatte, begann die Haut am Hals welk zu werden. Als die Tochter vor zwölf Jahren geboren wurde, hatte sie ihre Anstellung in einem Architekturbüro aufgegeben und seitdem keine Lust mehr verspürt, wieder in den Beruf zurückzukehren. Als der Junge in die Schule kam, hatte Martin Beck vorgeschlagen, ob sie nicht eine Halbtagsstelle annehmen wolle, doch sie hatte ihm ausgerechnet, daß es sich kaum lohnen würde. Außerdem war sie bequem von Natur aus und mit ihrem Hausfrauendasein zufrieden. Ja, ja, dachte Martin Beck, erhob sich und schob wortlos den blaugemalten Schemel unter den Tisch. Dann stellte er sich ans Fenster und blickte in den Nieselregen hinaus." Martin Beck von der Rikspolis Stockholm, Abteilung Kapitalverbrechen, ist der Miesepeter vom Dienst. Er ist ein magerer und nicht sonderlich großer Mann und natürlich unauffällig gekleidet. Ärmlich, könnte man auch sagen. Zugeschrieben aber werden ihm "enorme Fähigkeiten": Intuition und ein gutes Gedächtnis. Das reicht, um die ihm und seinen Kollegen überantworteten Fälle zu lösen. Viel mehr darf man von Martin Beck auch nicht erwarten.
Was also macht der kluge Mann? "Viertel vor vier verließ er das Polizeihaus und nahm die U-Bahn nach Hötorgshallen. Dort kaufte er so ausgiebig ein, daß er schließlich ein Taxi nach Gamla Stan nehmen mußte, um mit seinen Vorbereitungen noch rechtzeitig fertig zu werden." Um fünf vor sieben hatte Martin Beck den Tisch gedeckt und blickte auf sein Werk.
"Ich habe mich nach langer und gründlicher Überlegung entschlossen, das Polizeikorps zu verlassen. Meine Motive sind persönlicher Art, trotzdem will ich darüber in kurzen Zügen Rechenschaft ablegen. Zuallererst halte ich es für notwendig, daß mein Entschluß kein politischer Akt ist, auch wenn viele es so auffassen werden. Das Polizeiwesen ist sicherlich im Laufe der letzten Jahre in immer größerem Ausmaß politisiert worden, gleichzeitig wurde das Polizeikorps als solches immer häufiger zu politischen Zwecken ausgenutzt. Ich habe diese Entwicklung mit großer Besorgnis beobachtet, aber mir selbst ist es fast immer geglückt, mich von diesem Teil der Tätigkeit fernzuhalten. Während der 27 Jahre, die ich im Polizeikorps Dienst getan habe, haben sich jedoch dessen Selbstverständnis, Aufbau und Organisation in einer Art verändert, die mich zu der Überzeugung gebracht hat, daß ich nicht länger zum Polizeibeamten tauge, wenn ich das überhaupt jemals getan habe. Vor allen Dingen ist es mir unmöglich, mich mit einer Organisation dieser Art solidarisch zu erklären. Daher sollte es sowohl im Interesse des Polizeiapparates wie auch in meinem eigenen liegen, wenn mein Dienstverhältnis gelöst wird." Ein solches Schreiben mag erklären, warum in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern Sjöwall/Wahlöö bei Linksintellektuellen so gut ankamen. Kollberg also schmeißt die Brocken und geht. Der brave und weiterhin grüblerische Martin Beck bleibt. Dieser Mann, der Menschenansammlungen aller Art haßt und äußerst ungern reist, muß sich dennoch einmal fortbewegen.
Gerühmt wurde an dem Sjöwall/Wahlöö-Unternehmen, daß anstelle des Einzelkämpfers für Recht und Gerechtigkeit ein Team von Polizisten tätig ist - Martin Beck und seine Mitarbeiter. Das Modell ist von Ed McBain abgekupfert, der zu der Zeit schon weit über ein Dutzend Bücher über die Männer vom 87. Polizeirevier veröffentlicht hatte. Bei ihm allerdings sind es keine Pappkameraden, sondern Cops, die ihren Job erledigen und mehr auf der Straße sind als im Office und daheim. Sie ersparen sich auch weitgehend Reflexionen über die gesellschaftlichen Zustände, langen vielmehr zu. Sie sind härter, abgebrühter und zynischer.
Eine neue Liebe, und ein wenig mehr GenussAm Morgen bereitete Martin Beck für sie beide das Frühstück und sah ihr zu, als sie sich ankleidete.Er hatte sie schon vorher mehrere Male nackt gesehen, hatte aber das deutliche Gefühl, daß es viele Jahre dauern würde, bis er sich satt gesehen haben würde. Rhea Nielsens Körper war kräftig, sie hatte eine gute Figur. Man konnte vielleicht sagen, daß sie ein wenig gedrungen oder untersetzt war, aber ebensogut, daß sie einen ungewöhnlich funktionellen und harmonischen Körperbau hatte. Desgleichen hätte man auch sagen können, daß ihre Gesichtszüge unregelmäßig, jedoch kraftvoll und ausdrucksvoll waren. Es waren fünf Dinge, die er am meisten bei ihr liebte: den kompromißlosen Blick aus den blauen Augen, die flachen, runden Brüste, ihre großen hellbraunen Brustwarzen, das helle Schamhaar und ihre Füße. Rhea Nielsen lachte heiser: "Schau du nur her! Manchmal macht es Spaß, wenn man so angestarrt wird." Sie zog den Slip an." Und dann frühstückten sie mit Tee, Toast und Marmelade. Anmerkung von Frank Göhre im Jahr 2007: Meine Haltung zu diesen Romanen hat sich übrigens inzwischen wieder verändert: Als ich sie in den Siebzigern zum 1. Mal gelesen habe, war ich begeistert. Später fand ich sie zu pädagogisch - aus der Phase ist der "Frühstücksbeitrag". Inzwischen finde ich sie wieder sehr, sehr gut - interessant, wie der Blick sich wandelt! © Frank Göhre Februar 2007 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien Die Geschichte erschien zuerst in "Frühstück mit Marlowe" - Rezepte und Geschichten im Wunderlich Verlag, Reinbek 1991 - Überarbeitete und erweiterte Ausgabe Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek 1997
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