|  Leseprobe
Der Wind war stärker geworden, und es fiel ein 
          leichter Regen. Zitternd klappte er seinen Mantelkragen hoch. Er hatte 
          es nicht weit bis nach Hause, aber die Dunkelheit schien den Weg bis 
          zur Unendlichkeit auszudehnen.         
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   Als er sich an diesem Abend gegen acht auf den Weg in die Stadt gemacht 
          hatte, hatte er sich wegen des Heimwegs keine Sorgen gemacht. Dass er 
          nicht mehr zurückfahren konnte, bedeutete, dass der Wagen über 
          Nacht in der Stadt bleiben musste. Er würde außerdem zu Fuß 
          nach Hause gehen müssen, aber das war nicht das erste Mal, und 
          so schrecklich weit war es nun auch wieder nicht, nur eben dunkel und 
          unangenehm. Doch als sich die Tür der verräucherten Kneipe 
          in der Storgata hinter ihm schloss, fühlte er sich plötzlich 
          unbeschreiblich müde. Kalt war es noch dazu. Er schaute zum pechschwarzen 
          Himmel hoch und hörte die Kirchturmuhr halb elf schlagen; wie immer 
          ging sie zwei Minuten nach.Er lief zum Stora Torg, wo er atemlos feststellen musste, dass er den 
          letzten Abendbus verpasst hatte; der verschwand soeben in Richtung Karl 
          XI. väg. Natürlich hätte er ein Taxi heranwinken können, 
          nur tauchte leider keins auf. Es war überhaupt seltsam leer und 
          still an diesem Montagabend. Der ohnehin schon dunkle Himmel war von 
          noch dunkleren Wolken bedeckt, die wie zerrissene Fetzen weiterjagten, 
          während Windstöße wie durchsichtige Schleier durch die 
          Straßen fegten und Kieselsteine und trockenes Laub mit sich rissen.
 Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und ging durch die Brogata. 
          Dieser Spaziergang war wirklich die pure Zeitverschwendung. Es war überhaupt 
          idiotisch von ihm gewesen, diesen Abstecher in die Stadt zu machen. 
          Einige Sekunden lang bereute er das zutiefst. Wie viel war das alles 
          überhaupt wert? Was brachte ihm das eigentlich? Er verfluchte sich 
          und seine infantile Dummheit. Vor ihm lag ein hektischer Tag und er 
          brauchte allen Schlaf, den er bekommen konnte. Er hätte es zumindest 
          aufschieben sollen, statt einfach übereilt loszustürzen.
 Er nahm eine Abkürzung durch einige kleine Gassen und hatte schon 
          bald Timmermannsleden erreicht. Der Wind pfiff durch die Bäume 
          und bog die Zweige zur Seite. Ein Wagen kam mit eingeschaltetem Fernlicht 
          auf ihn zu, für eine Sekunde hoffte er auf ein freies Taxi, doch 
          dann bog der Wagen in eine Querstraße ab, ehe er ihn erreicht 
          hatte. Immerhin musste er jetzt nur noch einige Blocks hinter sich bringen. 
          Bei der tickenden Ampel überquerte er die Skeppargata. Die sonst 
          so viel befahrene Straße lag wie ausgestorben vor ihm.
  Hinter dem Supermarkt entdeckte er zwei besoffene 
          Penner auf einer Bank und fuhr zusammen. Er beschleunigte seine Schritte 
          und hatte schon bald die Västmansgata erreicht. Als er auf dem 
          schmalen Bürgersteig nach links abbog, wurde er vom scharfen Licht 
          eines weiteren Wagens geblendet und überlegte sich, dass das nun 
          schon das zweite Mal war, seit er die Einbahnstraße passiert hatte.Vielen Dank an den Goldmann Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis.Er konnte jetzt die moosgrüne Fassade erkennen, die im Dunkeln 
          ebenso grau aussah wie die der anderen Häuser der Straße. 
          Ein plötzlicher Windstoß fegte über den Boden, fauchte 
          an den Mauern vorbei, sang heftig und metallisch in den Regenrinnen, 
          ließ die Straßenlaternen ruckhaft hin- und herschaukeln 
          und die Blechdächer ächzen. Er lief wieder schneller, der 
          Wind blies durch seinen dünnen Mantel, legte sich dann aber wieder, 
          fast als habe es ihn nie gegeben, und er verlangsamte sein Tempo und 
          dachte, es sei doch dumm, sich dermaßen zu verausgaben. Er hatte 
          ja nur noch wenige Meter vor sich. Aber etwas verunsicherte ihn, machte 
          ihm fast schon Angst. Er hatte das Gefühl, nicht allein zu sein. 
          Er fing an, eine Melodie zu summen, die er früher an diesem Abend 
          im Radio gehört hatte. Sang im Rhythmus seiner Schritte. Aber dieses 
          seltsame Gefühl wollte sich nicht legen. Er schob die Hände 
          in die Manteltaschen und ging noch schneller.
 Er lief an den vielen parkenden Wagen vorbei, deren Lack im Laternenlicht 
          mit einem starren Blitzen aufglänzte. Automatisch schaute er durch 
          die Wagenfenster, um festzustellen, ob vielleicht jemand darin saß 
          und ob das der Grund für sein Unbehagen sein könne. Für 
          manche wäre es doch ein Kinderspiel, in einer leeren nächtlichen 
          Straße einen gut gekleideten Vierzigjährigen mit dicker Brieftasche 
          auszurauben. Aber alles, was er sah, waren leere schwarze Sitze.
 Erst als er den Gartenzaun erreicht und gerade die Schlüssel aus 
          der Tasche gezogen hatte, hörte er das Geräusch. Ein leises 
          Klappern, wie von einer rollenden Blechdose oder einem verlorenen Schlüssel. 
          Es war ein eiliges Geräusch, das fast sofort wieder verstummte, 
          und er war sich nicht sicher, ob er es überhaupt gehört hatte. 
          Aber als er dann die Hand nach der Torklinke ausstreckte, hörte 
          er es wieder, wenn es jetzt auch anders klang. Es waren Schritte, ja, 
          da war er sich sicher. Klappernde, harte Schritte.
 Als sich die Gestalt aus dem Dunkel beim Zaun löste, war es sein 
          erster Impuls zuzuschlagen. Doch wie ein Zuschauer bei einem Film, der 
          ihn in Wirklichkeit nichts angeht, beobachtete er, wie die Gestalt auf 
          ihn zukam. Sie hielt etwas Blankes, Glitzerndes in ihrer erhobenen Hand. 
          Seine eigene Hand war unbeweglich.
 Danach ging alles sehr schnell. Die erhobene Hand landete irgendwo unterhalb 
          seiner Schulter, er verspürte ein Brennen, und der Asphalt schien 
          ihm auf seltsame Weise entgegenzukommen, als sei der Boden lebendig 
          geworden und bäume sich auf. Erst als der Bürgersteig über 
          seine rechte Wange schrammte und er ein seltsames Scheppern hörte 
          wie von Tonscherben, setzte der Schmerz ein - im Nacken und am Brustkorb, 
          gefolgt von dem stechenden Brennen im Rücken. Den Blick auf einen 
          schwarzen Schuh gerichtet, der in einer sich ausbreitenden Blutlache 
          stand, die vorher nicht da gewesen war, konnte er noch denken, dass 
          diese Art zu sterben für den Mann im Film doch überaus wahnwitzig 
          und unnötig sei.
 
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