Schreibt Camilla Läckberg einen „Lifestyle-Thriller“? – Betrachtungen von  Außen
 
  
  „Die Töchter der Kälte“, Camilla  Läckbergs dritter auf Deutsch vorliegender Fjällbacka-Krimi, ist gut komponiert  und spannend konstruiert, bietet aber nichts Neues – das provoziert ihre  Kritiker. Ihre Fans aber, und davon gibt es reichlich, werden auch diesen Krimi  mit den beiden Protagonisten Erica und Patrick lieben, denn die Schwedin bleibt  sich und ihren Figuren treu. 
  Als Henning Mankell sich Ende der  1990er Jahre anschickte, mit Kurt Wallander auch den deutschen Markt zu  erobern, tat er dies mit einem Protagonisten, der die Welt nicht mehr verstand  und fast daran verzweifelte. Die zehn Bände um Kurt Wallander sind zu einem  linkskonservativen Manifest geworden. Es ist dies in weiten Teilen der Abgesang  auf vergangene, verlorene Werte. Gleichzeitig aber lieferte Henning Mankell  gesellschaftliche Analysen auf der Höhe seiner Zeit. Jeder Mordfall, jeder Kriminalroman  diente dem Autoren, exemplarisch Niedergang, Verfall, Krankheit und Tod einer  vergangenen Gesellschaft, insbesondere dem schwedischen „Volksheim“,  aufzuzeigen. 
  Camilla Läckberg steht für eine neue  Stilrichtung
  Kurze Zeit später tauchte Liza  Marklunds Annika Bengtzon auf der Bildfläche auf und sorgte ebenso für Furore  wie davor Henning Mankell. Wiewohl sich Marklund und Mankell, Wallander und  Bengtzon äußerlich und im literarischen Konzept auch unterscheiden, kritisierte  doch auch Marklund seinerzeit soziale Kälte und gesellschaftliche  Entwicklungen, die Menschen zu Mördern werden ließen. Gleichzeitig dokumentiert(e)  sie mit der berufstätigen Mutter Annika Bengtzon soziale Realität. Inzwischen,  rund zehn Jahre sind seit den Aufsehen erregenden Kriminal- und  Gesellschaftsromanen eines Henning Mankell und einer Liza Marklund vergangen,  dominieren längst andere Autoren die literarische Bühne, darunter auch Camilla  Läckberg, der die «Brigitte» attestiert, „besser als Liza Marklund“ zu sein. Das  sagt einiges über die vergangene Dekade aus, die große Autoren wie Håkan Nesser  und Arne Dahl hervorgebracht hat. Seit etwa drei, vier Jahren jedoch zeichnet  sich eine zu den gesellschaftskritischen, zum Teil hoch-literarischen und  intellektuellen Romanen gegenläufige Tendenz in der skandinavischen  Kriminalliteratur ab, für die Camilla Läckberg und ihre  Schriftstellerkolleginnen Sara Blædel, Kajsa Ingemarsson oder Mari Jungstedt  beispielsweise stehen. 
  Von Pisse, Möwenscheiße, Neid und Sexismus
  Das Wort vom „Lifestyle-Thriller in  kriminellem Milieu mit Frauen als Protagonisten“ machte die Runde, eine  „Feminisierung“ des Kriminalromans wurde konstatiert – und gemeint war wohl  auch eine Trivialisierung des skandinavischen Krimis. Im August diesen Jahres  kulminierte die bis dato zumindest sachlich vorgetragene Argumentation in der  Verbalattacke des Schriftstellerkollegen, Kriminologen und Medienexperten Leif  GW Persson, der Läckberg vorwarf, was sie schreibe, passe allenfalls als  Kitschnovelle in Pferdezeitschriften. Läckberg konterte, indem sie dies als  „Pisse von einem älteren Herrn“ abtat, „der sich irgendwie übergangen fühlt“.  Es schalteten sich weitere Protagonisten ein (Annika Bryn, Mari Jungstedt,  Ernst Brunner), weitere Namen wurden ins Spiel gebracht (Liza Marklund), weitere  Beschimpfungen machten die Runde („Möwenscheiße“), und die Trennlinie verlief  ziemlich genau zwischen älteren Männern und jüngeren Frauen, und in dieser  Logik völlig konsequent war weiters von „Neid“ und „Sexismus“ zu lesen. 
  Paarbeziehungen bei Camilla Läckberg 
  Tatsächlich bietet Camilla  Läckbergs dritter, nun auch auf Deutsch vorliegender Krimi „Die Töchter der  Kälte“ genügend Angriffsfläche für oben erwähnte Kritik. Der Mord an der erst  siebenjährigen Sara ist der Ausgangspunkt für das zentrale Thema dieses Krimis,  nämlich den diversen Beziehungen und Beziehungstypen zwischen Eltern und  Kindern. Ausführlich wird etwa Ericas postnatale Depression beschrieben, aber  auch, dass insbesondere für Patrick das Familienleben mit Erica und Maja der  dringend benötigte Zufluchtsort ist, wo er Kraft für die tägliche Polizeiarbeit  schöpfen kann. Es wird auch kein Zweifel daran gelassen, dass die Entscheidung  für ein Kind grundsätzlich die richtige war. Problematische  Eltern-Kind-Beziehungen tauchen bei Läckberg eher auf Seiten der Bösen auf, und  auch wenn es dazwischen ein diffuses Grau gibt – zum Beispiel ein pädophiler  Vater, der aber immerhin seinen eigenen Sohn verschont –, Patrick und Erica  gehen trotz ihrer Probleme unbeschadet aus dem Ganzen hervor und präsentieren,  weil sie die Protagonisten sind, zweifellos die als ideal dargestellte  Paarbeziehung. Beziehung und Partnerschaft, Kind und Ehe sind damit bei  Läckberg das signifikante Gegenbild zu den einsamen, verlassenen,  eigenbrötlerischen Polizisten wie Wallander, aber auch zu den mit Kind und  Karriere kämpfenden Frauen wie Annika Bengtzon und Ann Lindell. Doch sollte man  der Autorin daraus einen Strick drehen? Nein, denn es ist genauso legitim,  diese Ansicht zu zeigen, wie auch die vom desillusionierten Mann in der  Midlife-Crisis oder die von (alleinerziehenden) berufstätigen Müttern. 
  Das konservative Element bei Camilla  Läckberg
  Das Problematische oder  Kritikwürdige daran ist vielleicht eher, dass man das Gefühl hat, hier wird ein  längst vergangener Status quo konserviert. Das wird vor allem beim seriellen  Schreiben beziehungsweise Lesen erkennbar. Das, was Henning Mankell und Liza  Marklund und mit ihnen beziehungsweise in ihrer Folge beispielsweise Håkan  Nesser und Arne Dahl vor allem inhaltlich für das Genre bewirkt haben, scheint  bei Camilla Läckberg (wieder) vergessen. Keine Frage: Strukturell und  handwerklich sind die Geschichten solide gemacht. Camilla Läckberg nutzt  zeitlich verschiedene Ebenen, Rückblicke und Anspielungen auf noch Kommendes  sehr geschickt und spannungsfördernd als Cliffhanger. An ihrer Sprache ist  nichts auszusetzen, aber es gibt auch nichts, was sie besonders aus- und  kennzeichnet: kein Augenzwinkern, keine Ironie, keine „Abendpresse-Prosa“ wie  bei Liza Marklund seinerzeit (die viele auch nicht mochten, aber sie war neu  und hat Impulse gegeben). Und auch inhaltlich ist sie ein Schritt zurück, denn sie  hat dem bereits Bestehenden nichts Neues hinzugefügt. 
  
     
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  Ihre Intrigen und Plots sind gut  und spannend, bieten aber nicht das intellektuell-komplexe Gedankengebäude  eines Arne Dahl, erzählen nichts, was nicht schon Mankell moniert hat oder bei  ihm angelegt ist, und haben nicht die innovative Verspieltheit eines Håkan  Nesser. Ähnliches gilt für ihre Figuren. Sie sind nicht in der gleichen Art  kämpferisch und polarisierend wie Liza Marklunds in ihren besten Zeiten, es  fehlt ihnen die subtile Psychologie einer Karin Fossum oder einer Karin  Alvtegen. Moralisch und politisch wird keine neue Position bezogen und  artikuliert, so wie es damals Henning Mankell tat. Bei aller dargestellten  Abgründigkeit, mit Camilla Läckberg befindet man sich letztlich immer auf  sicheren Boden. Literarische Grenzüberschreitungen gibt es bei ihr nicht, keine  neuen Sichtweisen, keine Ambiguität und keine Mehrdeutigkeit. Alles Brüchige  dient letztlich nur dazu, den nächsten Krimiplot zu schmieden. 
  Keine Brüche, keine Ambiguität, aber viel  Privates
  Tatsächlich rückt das Private in  bisher - selbst bei Mankell - nicht gekanntem Ausmaß in den Vordergrund.  Während bei Mankell Wallanders Familienleben eher Spotlightartig beleuchtet  wird und den politischen, gesellschaftskritischen Aspekt auf der privaten Ebene  widerspiegelt und als Reflexionsebene von existentieller Bedeutung dient,  fehlen bei Camilla Läckberg diese Meta-Bezüge. Es sei denn, man postuliert, in  skandinavischer Tradition, dass das Politische privat ist und das Private  politisch. Dann aber zeigt Läckberg ein konservativ zu nennendes Frauen- und  Familienbild, das möglicherweise der im Vergleich zu Deutschland weit  vorangeschrittenen Emanzipation und Gleichstellung der Frauen im Berufs- und  Alltagsleben zu verdanken ist. Erst wenn eine Gesellschaft soweit gekommen ist  (und nicht wie Deutschland Hitler und seine „Familienpolitik“ hatte), kann ein  ursprünglich konservatives Bild von Familie, Frau und Beruf so  selbstverständlich in epischer Breite und ohne großen Aufschrei und Widerspruch  in der Öffentlichkeit geschildert, ja fast schon verherrlicht werden. Dieses  Bild steht in deutlichem Kontrast zu den Frauen- und Rollenbildern, die etwa  Liza Marklund mit Annika Bengtzon oder Kjell Eriksson mit Ann Lindell  entwerfen, und dennoch nimmt ganz sicher auch Camilla Läckberg für sich in  Anspruch, gesellschaftliche Realität abzubilden. Doch alles Gesellschaftskritische,  alles Brüchige in den Figuren (Annika Bengtzon ist ja alles andere als  unkompliziert und auch ihre Beziehung zu ihrem Mann nicht ohne Spannungen, Ann  Lindell ist alleinerziehende Mutter) scheint bei Läckberg abwesend,  ausgelöscht. Gesellschaftskritik wird bei Läckberg, wenn sie denn geäußert  wird, reflexartig von den Protagonisten geäußert. Wo Kurt Wallander  melancholisch räsoniert und Annika Bengtzon pathetisch und mit Emphase  polemisiert, entsteht bei Läckberg ein Vakuum. Besonders augenfällig ist dies  in „Olycksfågeln“, dem Folgeroman zu „Die Töchter der Kälte“. 
  Kritik als Reflex – nicht aus  existentieller Not geboren
  In einer verschärften  Big-Brother-Das-Dorf-Version fällt dort die Produktion "Fucking  Tanum" in Patricks Polizeirevier ein und natürlich verabscheuen Patrick,  sein Kollege Martin und alle Personen in deren sozialen Umfeld das  menschenunwürdige Zurschaustellen der "Fucking Tanum"-Teilnehmer. Was  aber bei anderen Autoren von existentieller und essentieller Bedeutung auch im  metaphorischen Sinn für das Romangeschehen wäre, dient bei Läckberg nur als  Kulisse zu einem Mord, der aber nichts mit "Fucking Tanum" als  gesellschaftlichem Phänomen zu tun hat – und damit fällt sie hinter dem bereits  Erreichten zurück, und man konstatiert: Mit dieser Art Konservativismus provoziert  Camilla Läckberg ihre Kritiker genauso wie seinerzeit Liza Marklund mit ihrer  weitaus progressiveren Annika Bengtzon. 
  Gut komponiert, spannend konstruiert
  Tatsache aber bleibt, dass „Die Töchter der Kälte“ ein  gut komponierter, spannend konstruierter Krimi ist, doch auch, dass das Bessere  der Feind des Guten ist: Camilla Läckbergs Krimi ist in jeder Hinsicht gut  gemacht – aber das Problem ist: es hat schon Besseres, im Sinne von innovativ,  kritisch und impulsgebend, gegeben. Grund für verbale Entgleisungen wie die von  Leif GW Persson sollte das dennoch nicht sein, denn diese sind geschmacklos und  herabwürdigend. Über Literatur wie über Kunst im Allgemeinen lässt sich auch  ohne dies trefflich und zu beiderseitigem Befruchten streiten. Camilla  Läckbergs Erfolg ist ohnehin indiskutabel: Mit 1 Million Gesamtauflage kann man  die Schwedin getrost zu den ganz großen Krimiautorinnen Skandinaviens zählen.