Da stimmte etwas ganz und gar nicht. Das Unterholz 
          wurde immer dichter, er watete bis zu den Knien im Farnkraut. Der Pfad, 
          er musste den Pfad wiederfinden. Plötzlich erblickte er etwas Gelbes, 
          das links von ihm an einem Ast hing und hin und her baumelte. Ein Stofffetzen? 
          Neugierig bahnte Fredric sich einen Weg durch das Gebüsch auf dieses 
          auffallende gelbe Ding zu. Da verschwand der Boden unter seinen Füßen. 
          Er fiel einfach durch das Farnkraut hindurch, hinab in ein Loch, und 
          spürte einen gewaltigen Druck gegen die Brust. Er saß völlig 
          fest in einem tunnelförmigen Spalt, unter ihm war nur Leere. Er 
          musste da in der Öffnung zu einem unterirdischen Raum hängen, 
          einer Höhle, einem Abgrund. Sein Kopf ragte gerade noch über 
          den Boden, einige Farnwedel kitzelten ihn im Gesicht, und er nieste.
          
          Durch das Niesen rutschte er noch ein Stück tiefer. Es gelang ihm, 
          einen Arm über den Kopf zu zerren, er versuchte, sich an etwas 
          festzuhalten, fand aber nichts. Er riss einige Farnbüschel mit 
          den Wurzeln aus, wand sich, aber jede Bewegung führte nur dazu, 
          dass er immer tiefer versank, Millimeter für Millimeter. Eine Zeit 
          lang hing er ganz bewegungslos. Er hörte sein Herz schneller und 
          schneller schlagen, spürte, wie der Druck gegen die Brust immer 
          stärker wurde. Sein Mund war trocken. Er leckte einige Schweißtropfen 
          auf. Es fehlte nicht mehr viel zu einer Panikattacke. Er öffnete 
          den Mund, um zu rufen, aber es kam nur ein Keuchen und Stöhnen 
          dabei heraus. Hier im Wald zu rufen würde sowieso nichts nützen, 
          denn er hatte auf der Wanderung keine Menschenseele gesehen. Niemand 
          würde ihn hören. Er zappelte etwas mit den Beinen, aber da 
          war nur leerer Raum, der ihn von unten anzusaugen schien, gnadenlos 
          nach unten. Wie tief war dieses Loch, wie weit war es bis zum Grund? 
          Es konnte sehr, sehr tief sein. Millimeter für Millimeter. Mit 
          jedem Atemzug glitt er ein Stück tiefer nach unten. Wenn er den 
          Atem anhielt und den Brustkorb anspannte, passierte nichts, aber er 
          konnte ihn nicht lange anhalten. Jetzt ist alles aus, Fredric Drum, 
          du fällst in einen bodenlosen Schacht in Südfrankreich, in 
          der Gironde, weit von zu Hause entfernt, und stürzt dich zu Tode! 
          Niemand wird dich finden, dachte er, du wirst für immer verschwinden. 
          Im wahrsten Sinne des Wortes vom Erdboden verschluckt. Er presste sein 
          Kinn in den moosbewachsenen, rutschigen Fels und versuchte verzweifelt, 
          sich hochzustemmen. Dann schloss er die Augen und hielt den Atem an. 
          Die Trommelfelle pochten, es fühlte sich so an, als ob das Blut 
          durch seinen Kopf schäumte, und er hörte einen Wirrwarr von 
          Stimmen. Französisch und Norwegisch, Norwegisch und Französisch, 
          durcheinander. Er hörte die Stimme seines Freundes Tob, Torbjørn 
          Tinderdal, der sagte:        »Geräucherte Auerhahnbrust mit feingehackter 
          Leber in Cognacsauce. Eine Flasche Château Talbot, Fredric, was 
          hältst du davon?« Er hörte seine Freundin Maya Manuella 
          sagen:
          »Der Médoc, Fredric, der Médoc ist die allerbeste 
          Weinregion. Denk doch mal an die Städtchen Margaux, Paulliac und 
          St. Estèphe. Alle auf der Médoc-Halbinsel.« Er hörte 
          ein Dutzend Weinhändler und Château-Besitzer, die im Chor 
          riefen:
          
                  
                  
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»Petite dégustation, ausgezeichneter Wein, der beste von 
          St. Emilion, Grand Cru, Grand Cru Classé, Premier Grand Cru Classé, 
          probieren Sie meinen, probieren Sie diesen Jahrgang!« Millimeter 
          für Millimeter. Jetzt schrammte sein Kinn über einen rauen 
          Stein, und er versuchte zu atmen, ohne den Brustkorb zu bewegen. Er 
          verrenkte den Kopf nach hinten, sah die Farnwedel, die in der leichten 
          Brise vibrierten, sah einen Baumstamm, dessen Rinde sich in großen 
          Fetzen ablöste. Er sah Äste und Blätter, rote, grüne 
          und gelbe. Salzige Schweißtropfen liefen ihm in die Augen, und 
          das brannte. Wenn er doch nur einen Halt für seine Füße 
          finden könnte, wenn das Loch unter ihm doch bloß nur einen 
          Meter tief wäre! War das die Art, wie er sterben sollte? Sollte 
          Fredric Drum, der von vielen »der Pilger« genannt wurde, 
          sein Leben so beenden? Vom Erdboden verschluckt, endgültig und 
          für immer verschwunden. Viele würden suchen, aber niemand 
          würde finden. Sein Hemd wurde ihm vom Leib gekratzt, die Reste 
          hatten sich in seine Schultern und seinen Hals eingeschnitten. Der glatte, 
          etwas unregelmäßige Kalkstein ritzte ihn an mehreren Stellen 
          in die Brust und den Rücken. Er riss ihm die Haut auf, während 
          er gnadenlos immer tiefer versank. Bald würde er durchgerutscht 
          sein, bald würde er in das bodenlose Dunkel fallen und auf scharfen 
          Steinen zerschmettert werden. Sein ganzer Unterkörper vom Bauch 
          abwärts hing jetzt frei. Verzweifelt suchte er nach einem Halt 
          für seine Füße, aber er fand nur Luft. Seine beiden 
          Arme waren in einer unmöglichen Stellung verkeilt, er konnte sie 
          nicht bewegen, nur die Position des Kopfes ließ sich noch verändern, 
          und er schlug seinen Oberkiefer in den Fels. Konnte er sich vielleicht 
          festbeißen? Seine Zähne schrappten mit einem hässlichen 
          Geräusch über den Stein, das Zahnfleisch blutete, er hatte 
          keine Kraft mehr.Hatte das Rutschen aufgehört? Glitt er nicht mehr 
          weiter nach unten? Einige Sekunden oder Minuten lang hatte er die Augen 
          geschlossen, und er spürte, dass er ganz ruhig hing. Er atmete 
          vorsichtig. Er lauschte. In der Ferne hörte er einen Hund bellen. 
          Ein Zweig knackte nicht weit entfernt mit einem scharfen Geräusch. 
          Ein Zweig knackte! Kam da jemand? War jemand in der Nähe? Ein heiserer 
          Ruf presste sich über Fredrics Lippen, und als seine Lungen sich 
          entleert hatten, fiel er.